Lesung „Fremd“

Mitgefühl statt Vorurteile

P1390134Ein Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit

Diskussionen darüber, ob – und wenn ja, wie viele – Ausländer in unserem Land aufgenommen werden können, bleiben blutleer, wenn man nicht den einzelnen Menschen wahrnimmt, wenn man keine Vorstellung davon hat, was ein Leben in Deutschland für den einzelnen Geflüchteten bedeutet. Deshalb hat die Initiative „Strehlen für Alle“ zusammen mit dem Caritasverband für Dresden e.V. und in Kooperation mit dem Kulturbüro Sachsen am 13.6.16 zur Lesung und Diskussion mit einer Expertin eingeladen.

Dr. Tatjana Ansbach war viele Jahre als Anwältin für Ausländer- und Asylrecht tätig und hat bei ihrer Arbeit Menschen aus unterschiedlichsten Ländern getroffen. Unabhängig davon, ob ihr jemand sympathisch war oder auch weniger angenehm war, hat sie erlebt, wie schwer Ausländern das Leben in Deutschland gemacht wird – besonders, wenn sie als Flüchtlinge kommen. Sie empfindet es als doppelzüngig, wenn den Flüchtlingen erhebliche Integrationsleistungen abverlangt werden, ihnen dann aber gerade bei ihren Bemühungen um Integration auch sehr hohe Hürden in den Weg gestellt werden.

Die Geschichten von Menschen, denen Frau Ansbach bei ihrer Arbeit als Anwältin begegnet ist, hat sie anonymisiert und literarisch bearbeitet in ihrem Buch „Fremd“ veröffentlicht. Eine der Geschichten handelt vom Schicksal einer afghanischen Familie, die während des Asylverfahrens und nach seinem erfolgreichen Abschluss fast fünf Jahre in einem Landkreis in Brandenburg wohnen musste. Wegen der Residenzpflicht durften sie nicht zu Sami, ihrem erwachsenen Sohn nach Berlin ziehen. Sami war schon früher nach Deutschland gekommen und hätte mit seinen guten Deutschkenntnissen die kranken Eltern und den minderjährigen Bruder gerne sehr viel mehr unterstützt. Schließlich kam es zur Gerichtsverhandlung, in der das Sozialamt sich mit der Familie dahingehend einigte, dass das Amt dem Umzug nach Berlin unter der Bedingung zustimmte, dass für die Miete nicht mehr als im brandenburgischen Landkreis gezahlt würde. Die Anwältin schlug dann vor, dass Sami in Berlin eine etwas größere Wohnung auf seinen Namen mieten und er seine Eltern dann als Untermieter zu sich nehmen könne. So wurden die Probleme endlich gelöst und die Familie war wieder vereint.

Im Anschluss an die Lektüre dieser Geschichte stand die Autorin für Fragen zur Verfügung. Es entwickelte sich in guter Atmosphäre ein hochinteressantes Gespräch über die Klippen des deutschen Ausländer- und Asylrechts, zu denen Frau Ansbach mit ihrer Fachkompetenz und mit Bezug auf ihre vielen Gespräche mit Flüchtlingen, aber auch Ausländern, die aus anderen Gründen in Deutschland leben, aufschlussreiche Erläuterungen gab. Dabei wurde deutlich, dass nur das Kennen Lernen persönlicher Schicksale die oft verzweifelte und traurige Lage der Asylsuchenden ins Bewusstsein rücken können und vor allem Begegnungen wirksam dazu beitragen, Intoleranz, Vorurteile und Ängste vor Fremden abzubauen. Insgesamt war der Abend ein leidenschaftliches Plädoyer für Menschlichkeit und Toleranz gegenüber Menschen anderer Kultur, Religion oder Hautfarbe, der insbesondere Flüchtlingshelfer/innen gestärkt hat in ihrem Engagement und andere motiviert hat, solidarisch zu sein.